kritische ver_ortung und soziale positionierung – ein (selbst)interview

– was heißt kritische ver_ortung für dich?

das heißt für mich: zu reflektieren, wie ich sozial positioniert bin in den kontexten, in denen ich mich bewege und die mein selbstverständnis immer wieder bestimmen und herausfordern. und es heißt auch: zu reflektieren, in welchen kontexten und situationen ich mich wie bewegen kann, in welchen nicht oder nur anders.

in bezug auf mein arbeiten in und mit xart splitta bin ich trans_x_t ver_ortet oder andersherum: mein arbeiten ist trans_x_t, indem ich für, mit und in xart splitta arbeite.

– und was bedeutet trans_xt?

zum einen heißt dies, dass ich zweigenderungen infragestelle, das heißt die in tausend situationen immer wieder gemachte annahme, dass es frauen und männer gäbe, weiblichkeit und männlichkeit. dass dies die pole und endpunkte von menschlichen handlungsmöglichkeiten und einlesungen seien – vielleicht mit irgendwas unbestimmtem dazwischen, aber zweigenderung, das gibt es auf jeden fall. und dann heißt es auch, dass ich die idee, dass zweigenderung jenseits von rassistischen und ableistischen, jenseits von migratistischen und klassistischen normen und vorstellungen besteht, hinterfrage: es gibt nicht die zweigenderung, sondern vorstellungen davon sind auch immer durchzogen und geprägt von rassismus, ableismus, klassismus, migratismus: das heißt es gibt nicht nur eine für ‘alle’ gültige und mögliche vorstellung von trans_xten handlungen, sondern trans_xte handlungen und vorstellungen aus einer weiß privilegierten positionierung und welche aus einer anti-rassistischen, d.h. Schwarzen kritischen ver_ortung. das kann sich überschneiden, gemeinsamkeiten haben, kann aber auch ganz unterschiedlich sein.

eine ausdifferenzierung von trans_xten handlungen heißt also auch infragetzustellen, dass es universell weiblichkeit und männlichkeit gäbe, ganz unabhängig und jenseits von allem anderen. mit meinen als weiße ableisierte person unreflektierten vorstellungen von zwei_genderung re_produziere ich auch immer eine rassistische, ableistische, migratistische und klassistische norm – nämlich eine vorstellung einer weißen ableisierten statisierten mittelschicht weiblichkeit als die weiblichkeit. alle anderen formen sind dann ‚zusätzlich‘ oder abweichungen oder so. und die spezifik der weißen ableisierten statisierten mittelschichtsweiblichkeit ist universalisiert, und wird so zum prototyp von weiblichkeit erklärt – zumindest für weiße ableisierte personen, die sich ihre eigenen normen so auch immer wieder bestätigen und so glauben für ‘alle’ sprechen zu können.

– konkret bedeutet dass also für dich …?

also konkret bedeutet es zum beispiel: dass ich sehr lange gar nicht benennen konnte, dass weder weiblichkeit noch männlichkeit für mich stimmt, dass ich mich nicht entscheiden muss und dass ich mein hadern mit sowohl weiblichkeit, meine disidentifikation damit ‚frau‘ zu sein genauso ernst nehmen kann wie meine ablehnung von männlichkeit – männlichkeit, die für mich immer auch genderistisch privilegiert ist. dass ich also diese schwierige situation des nicht mich gemeint fühlens mit weiblichkeit und männlichkeitund mein disidentifizieren mit sowohl weiblichkeit als auch männlichkeit ernst nehmen kann und in kritische politiken umsetzen kann, die eben beispielsweise eine weiße ableisierte norm von zweigenderung herausfordern.

ich habe mich lange in meinem leben damit abgekämpft und gestruggelt, was es heißt, weiblich zu sein, weiblich eingelesen zu werden, weiblich auszusehen, zu sprechen, weiblichkeit zu performen in einer weißen gesellschaft als weiße person, nicht aufzufallen oder nur im rahmen erwartbarer, unbenannt weißer ableisierter weiblichkeitsvorstellungen positiv aufzufallen – hab also versucht zu verstehen und zu performen, was andere wollen, um mich ‘wohl’ zu fühlen, zum das gefühl zu haben sein zu können und zu dürfen in gesellschaft. ich bin also sozial als weiße weibliche person über lange strecken meines lebens in allen möglichen kontexten und von allen möglichen instanzen und personen positioniert worden – und dachte dass es also so ist – als weiblich positioniert und gleichzeitig als nicht-passend, monströs, zu extem für diese kategorisierung, unpassend und das wäre meine ‘schuld’, immer auch stigmatisiert und reglementiert worden. meine von-außen-positionierung als weiblich weiß ableisiert ist also lange ein teil meiner sozialen positionierung gewesen. diese soziale positionierung ist mir so selbsterklärend selbstverständlich, dass ich sie gar nicht merke. also dass ich nicht merke, dass ich sie an sich auch in frage stellen könnte. wenn ich versuche meine interdependente soziale positionierung kritisch zu reflektieren und in politische handlungen zu über_setzen, dann wird daraus eine kritische ver_ortung: wenn ich reflektiere wie weiblichkeitsnormen weiße normalisierungen reproduzieren und frauisierte zu_richten, ausgrenzen, entwahrnehmen – und ich dies immer wieder versuche handelnd produktiv umzusetzen, dann bin ich – in diesen momenten, in denen ich das klar hab, in denen ich das versuche, riskiere, ausprobiere reflektiere, in diesen momenten bin ich dann kritisch anti-genderistisch verortet.

– nur in diesen momenten?

ja genau, nur in diesen momenten. kritische ver_ortung bedeutet für mich, dass es eine handlung ist, eine haltung, ein suchen und versuchen und dass dies immer auf konkrete situationen und kontexte bezogen ist. deshalb schreibe und sage ich auch trans_x_t, also eine verbform (oder was auch immer genau das jetzt ist…). durch die verbform hab ich die möglichkeit, für jede meiner handlungen und haltungen genau zu überlegen, ob sie eigentlich trans_x_end sind. das heißt, es gibt keine übergreifende immergültige zuschreibung trans_x_t.

– trans_x_ing – die englische verlaufsform – sagt also auch dass es keine identität ist?

genau. trans_x_ing hinterfragt durch diesen kontextuellen und situativen ansatz auch identitätspolitiken: ich bin nicht trans_x, ich handele trans_x_t – oder eben auch nicht. das fühlt sich super erleichternd und klärend an und bringt mich endlichendlich weg davon frau zu sein: ich kann so handeln, dass ich frauisiert wirke, wahrgenommen werde, mich selber so ver_orte. dann ist frau eine feministische ver_ortung. in den konventionellen zuschreibungen von weiblichkeit, in die ich passe oder nicht passe, ist frau-sein eine soziale positionierung, die mir angetragen wird, auf mich drauf geworfen wird, die ich annehme, ablehne, modifiziere.

kritisch ver_ortet zu handeln ist also immer auch selbstempowerment, ist selbstbestimmt. soziale positonierungen sind im besten fall kritische analytische zuschreibungen und kategorisierungen, im schlechtesten fall die ich sag jetzt mal ‚alltagsweltlichen‘ normen und zuschreibungen an denen ich mich die ganze zeit mehr oder weniger abarbeite, die ich teilweise oder größtenteils verinnerlicht habe, die mir zuspruch, anerkennung, wiedererkennung, halt, sicherheit aber eben auch verzweiflung, diskriminierung, schale nicht-anwesenheit geben.

die verbformen kritischer ver_ortung wie trans_x_en, dyke_transen, frauisieren – je nach eigener positionierung in einer bestimmten situation – empowern mich dazu immer wieder selbst handeln zu können, handlungen zu versuchen, auszuprobieren, überlegen zu können, die mir eine selbstbestimmung und eine anwesenheit geben. die verbformen und ihre kontinuierlich situative anwendung ermöglichen es auch immer wieder genau zu überlegen, wann und wo ich mich traue mich kritisch zu ver_orten, was ich dafür brauche. die verbform macht es mir möglich, meine kritischen ver_ortungen als handlungsmöglichkeiten zu verstehen und nicht für ein- und allemal als fest- und zuschreibungen zu begreifen, die mir nicht entsprechen und die ich sowieso nicht erfüllen kann.

 

weiterlesen zu politics of location/ kritischer ver_ortung:

adrienne rich (1984 [2003]): notes toward a politics of location. in: lewis, mills: feminist postcolonial theory. a reader.
chandra talpade mohanty (1987): feminist encounters: locating the politics of experience. copyright 1
michele wallace (1989): the politics of location: cinema/theory/literature/ethnicity/sexuality/me. framework, no. 36
lata mani (1989): multiple mediations: feminist scholarship in the age of multinational reception, inscriptions 5
inderpal grewal (1994): autobiographic subjects and diasporic locations: meatless days and borderlands. in grewal and kaplan, eds. scattered hegemonies
caren kaplan (1994): the politics of location as transnational feminist practice. in grewal and kaplan, (eds.) scattered hegemonies.
may ayim (2002) afrodeutsch I. in may ayim. grenzenlos und unverschämt. frankfurt/main 180-181.
encarnación gutiérrez rodriguez (2003) repräsentation, subalternität und postkoloniale kritik. in: spricht die subaltern deutsch? migration und postkoloniale kritik. hito steyerl und encarnación gutiérrez rodriguez (hrsg.), münster, 17-37.
grada kilomba (ferreira) (2003) die kolonisierung des selbst – der platz des Schwarzen. in: spricht die subaltern deutsch? migration und postkoloniale kritik. hito steyerl und encarnación gutiérrez rodriguez (hrsg.), münster, 146-165.
alyosxa tudor (2011) feminismus w_orten lernen. praktiken kritischer ver_ortung in feministischen wissensproduktionen. in ak feministische sprachpraxis, (hrsg.) feminismus schreiben lernen. frankfurt/main, 57-99.